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Из сегоднящнего Вельта Ohne Worte

Модераторы: Dragan, Valer'janka

Из сегоднящнего Вельта Ohne Worte

Сообщение putator » Пт фев 01, 2019 15:39

Die Welt 01/02/2019

Seite 22

OHNE
Worte
Das Handzeichen für „Hallo!“ bedeutet
anderswo „Halt!“ In der Sprache der
Gesten endet die Globalisierung. Eine
Warnung vor schlimmen Fingern und
falschen Freunden in der Fremde

In Griechenland ereignete sich vor
ein paar Jahren folgendes: Ein
Lkw-Fahrer kurvte auf einer steilen
Straße dahin. Ein kleiner Personenwagen
– sagen wir, ein Citroën
– kam ihm entgegen. Der Mann, der ihn
lenkte, nahm plötzlich die rechte Hand
vom Steuer und zeigte dem Lkw-Fahrer
den Handteller, wobei er seine Finger
abgespreizt hielt. Der Lkw-Fahrer in
seiner Not tat nun das Einzige, was ihm
noch zu tun übrig blieb: Er streckte dem
Citroën-Mann in einer beidhändigen
Geste der Abwehr, die Handflächen
übereinander nach vorn geschoben, alle
zehn Finger entgegen. Leider konnte er
sein Fahrzeug, während er jene Geste
vollführte, nicht mit den Füßen lenken:
Straßengraben, Totalschaden.
VON HANNES STEIN
Hinterher passierte dem Lkw-Fahrer
naturgemäß überhaupt nichts. Er wurde
von seiner Firma nicht entlassen; die
Behörden stellten ihm nicht einmal
einen Strafzettel aus. Denn die Geste,
mit der er bedroht worden war, heißt im
Griechischen mountza. Und mountza bedeutet
schlimmsten Ärger. Die Geste
stammt aus der Zeit des byzantinischen
Reiches, als verurteilte Verbrecher,
rückwärts auf einem Esel reitend, in
Ketten durch die Stadt paradiert wurden;
vorher hatte man ihnen das Gesicht
mit Lavaasche eingeschmiert. Da
man zum Einschmieren des Delinquenten
die offene Hand verwendete, wurde
es in Griechenland zu einer tödlichen
Beleidigung, jemandem den Handteller
und die gespreizten Finger zu zeigen.
Später gesellte sich eine sexuelle
Konnotation hinzu – die fünf Finger
symbolisierten von nun an die fünf Vergewaltigungen,
die den Schwestern des
Beleidigten fest versprochen waren. Der
in Amerika so beliebte Stinkefinger,
über den auch sonst einiges zu sagen
wäre (siehe unten), nimmt sich im Vergleich
wie ein freundlicher Morgengruß
aus. Gegen mountza hilft nur eines: eine
sofort in Anschlag gebrachte Doppelmountza.
Dass dabei auch mal ein Lastkraftwagen
ins Aus rattert, muss unbedingt
in Kauf genommen werden. Das
verstand der Chef des Lkw-Fahrers, als
ihm die näheren Umstände erklärt und
geschildert wurden. Das verstand auch
die Polizei.
Wir wissen nicht, warum der Citroën-
Mann jene fatale Geste vollführte.
Kannte er den Lkw-Fahrer aus einem
früheren Leben und war er seit jener
Zeit mit ihm verfeindet? Befand er sich
im Rechtsstreit mit der Firma, für die
der Lkw-Fahrer tätig war? Gefiel ihm
einfach der Fahrstil des entgegenkommenden
Fahrzeugs nicht? Oder war er
ein Ausländer, ein Nicht-Grieche, der
dem Lkw-Fahrer nur mal freundlich zuwinken
wollte? Aus der Linguistik kennen
wir das Problem der faux amis, der
Wörter, die in unterschiedlichen Sprachen
gleich klingen, aber etwas vollkommen
anderes bedeuten. Das rumänische
„prost“ heißt nicht „zum Wohlsein“,
sondern „doof“; das dänische
„hyggelig“ hat rein gar nichts mit Hügeln
zu tun, sondern bedeutet „gemütlich“;
wer auf Englisch „brave“ ist, der
ist nicht etwa brav, sondern tapfer.
Solche falschen Freunde, faux amis,
gibt es auch bei den Gebärden zuhauf.
Nehmen wir etwa diese Geste: Jemand
kneift sich in die Wange. In Frankreich
drückt der Gourmet damit seine Bewunderung
für die Kochkünste des Küchenchefs
aus: „Es hat mir hervorragend
geschmeckt!“ In Italien hingegen
vollführt diese Geste der Anerkennung
ein Mann, der auf der Straße eine hübsche
Frau erspäht. In Albanien wiederum
handelt es sich um eine Geste der
Verachtung. Oder kommen wir auf die
ausgestreckte Hand mit der Handfläche
nach vorn zurück: In den meisten
westlichen Ländern bedeutet diese Geste
„Halt“. In den arabischen Ländern
heißt sie aber: „Hallo!“
Im Irak hatte dieses Missverständnis
schreckliche, tödliche Folgen: Kurz
nach der amerikanischen
Invasion fuhr eine irakische
Familie mit dem Auto auf eine
Straßensperre zu. Neben
ihr stand ein GI mit Schutzhelm,
schusssicherer Weste und Maschinenpistole.
Er streckte gebieterisch
die Hand aus: „Halt!“ Das
irakische Auto fuhr weiter. Noch
einmal signalisierte der Amerikaner:
„Halt!“ Das irakische Auto fuhr
weiter. Zum dritten und letzten
Mal: „Halt!“ Der irakische Fahrer
drückte aufs Gaspedal,
der GI legte den Sicherungshebel
um und eröffnete das Feuer,
alle Insassen des Wagens starben.
Vielleicht ist in der Geschichte
dieses tragischen Missverständnisses
in nuce die ganze Tragödie der
amerikanischen Außenpolitik verborgen.
Manche Gesten sind universal:
Wer sich den Bauch reibt, gibt
damit auf allen fünf Kontinenten
zu verstehen, dass er etwas zu essen
möchte, wer sich die Hände reibt,
deutet in München wie in Sansibar diebische
Vorfreude an. Aber andere Gebärden
bleiben außerhalb von ihrem
kulturellen Kontext unverständlich.
Etwa diese: Der Daumennagel wird geküsst
und dann schnell von den Lippen
wegbewegt. Das heißt in Lateinamerika:
„Ich schwöre“ (der Daumennagel
nimmt dabei die Stelle eines imaginären
Kruzifixes ein). Und wer schon einmal
in Israel war, kennt den zusam-
mengelegten Daumen, Zeige- und Mittelfinger,
wobei die Hand – Handrücken
nach unten – rasch auf- und abbewegt
wird. Das bedeutet: „Warte einen
Moment.“ (Beziehungsweise: „Geduld!
Ich bin gerade damit beschäftigt, dich
übers Ohr zu hauen.“) In Europa
schüttelt man den Kopf, wenn man
„Nein“ signalisiert. Im Nahen Osten
und in Griechenland dagegen wirft
man kurz den Kopf in den Nacken und
produziert als krönenden Abschluss
ein kleines Gaumenschnalzen: „Tsk.“
Nicht einmal die Art, wie man mit Gebärden
„ich“ sagt, ist von der Kultur
unabhängig. Europäer legen zu diesem
Zweck die flache Hand auf die Brust –
Asiaten deuten auf die eigene Nase.
Eine fantastische Vielzahl von Gebärden
dient dem Ausdruck obszöner
Wünsche und Flüche;
hier kommen Hüften wie Fäuste,
Zungen wie Nasen zum Einsatz. Und
damit wären wir bei jenem trotzig
gereckten Mittelfinger angelangt,
dem wir schon oben kurz begegnet
sind. Die Franzosen nennen ihn
spöttisch „le doigt d’honneur“, den
Finger der Ehre; die Italiener sprechen
drastischer von „vaffunculo“,
was wir hier, da es sich bei der WELT
um ein Lesevergnügen für die ganze
Familie handelt, lieber unübersetzt
lassen. Der „Ehrenfinger“ ist eine
altehrwürdige Geste, die schon die
alten Römer kannten.
Sie nannten den Mittelfinger
den „digitus impudicus“. Kaiser Caligula
– das war jener größenwahnsinnige
Tyrann, der angeblich sein Lieblingspferd in
den Senatorenstand erheben
wollte – bot seinen Untertanen statt
der Hand den Stinkefinger zum Kusse
dar.
Diese Erkenntnisse verdanken
wir dem „Dictionary of Gestures“
von Francois Caradec, einem unverzichtbaren
Nachschlagewerk, das zum Lachen wie
zum Nachdenken gleichermaßen
anregt. Caradec, der 1924 geboren
wurde und 2008 starb, muss ein
ziemlicher Kauz gewesen sein. Er war
ein „Oulipolist“ – oder genauer, er ist
immer noch einer, denn aus dem Verein
„Oulipo“ tritt man nicht aus, wenn
man in die Grube sinkt. Man gilt dann
nur als ein „durch Sterbefall entschuldigtes“
Mitglied. „Oulipo“ ist ein Abkürzungswort,
das für „Ouvroir de
littérature potentielle“ (Werkstatt für
Möglichkeitsliteratur) steht; der
Gründer des Vereins war Raymond
Queneau, zu den berühmteren Mitgliedern
gehörten Georges Perec, Italo
Calvino und Oskar Pastior.
Eine wesentliche Idee von „Oulipo“
war es, sich beim Schaffen von Kunstwerken
strikte Beschränkungen aufzuerlegen:
So schrieb Perec einen Roman
– „La Disparition“, ins Deutsche übersetzt
als „Anton Voyls Fortgang“ –, der
ganz ohne den Vokal „e“ auskommt.
Die Enzyklopädie der Gesten, das
Francois Caradec angelegt hat, kann als
klassische „oulopolistische“ Fleißarbeit
angesehen werden: Er hat ein
stummes Lexikon geschaffen – ein Lexikon,
in dem kein einziges Wort erklärt
wird. Im Vorwort erklärt er mit
Buster-Keaton-Miene, sein Nachschlagewerk
komme „dem Linguisten und
dem Semiotiker gleichermaßen“ zugute.
Und er führt aus, dass Gebärden nur
ein einziges Tempus kennen: das Präsens.
Auch Gesten, die auf die Zukunft
verweisen, deuten ja nur an, was derjenige,
der die Gebärde vollführt, sich
von seinem Gegenüber wünscht: Du
kannst mich mal, du darfst mich mal,
und zwar schleunigst!
Es gibt, wie schon erwähnt, kaum
universale Gesten. Sogar die Art, wie
man zählt, ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich:
Europäer starten mit
dem Daumen, Amerikaner mit dem Zeigefinger.
(Eine amerikanische „drei“
besteht also aus Zeige-, Mittel- und
Ringfinger.) Für Japaner ist der Daumen
die Nummer fünf. Inder beginnen
bei auswärts gewandter Hand mit dem
kleinen Finger zu zählen und setzen
dann bei der Nummer „sechs“ mit dem
Daumen der benachbarten Hand fort;
eine in die Horizontale gesenkte Hand
deutet Zehnerschritte an, wobei mit
der benachbarten Hand auf die einzelnen
Finger hingewiesen wird: „zehn“,
„zwanzig“, „dreißig“ und so weiter; alle
zehn Finger – in die Höhe gehalten,
während beide Hände hin und her bewegt
werden – bedeuten „100“.
Allerdings gibt es in einem Bereich,
für den man das eigentlich am wenigsten
vermuten würde, dann doch wieder
Universalien, nämlich in der Religion.
Dürers gefaltete Hände sind nicht
nur im Christentum eine flehende, gen
Himmel gerichtete Gebärde; ein rhythmisch
vor und zurück bewegter Oberkörper
bedeutet nicht nur im Judentum
tiefe Versenkung ins Gebet; sowohl der
gläubige Muslim als auch der Buddhist
praktizieren Niederwerfungen.
Wie kann das sein? Schließlich unterscheiden
sich die Religionen ihrem Inhalt
nach dramatisch. Sogar Kriege sind
bekanntlich um dieser Inhalte willen
geführt worden. Und dann gleichen sich
die Gebärden so sehr? Warum? Der Rezensent
zeigt, während er dramatisch
seine Schultern hochzieht, die leeren
Handflächen und lüpft gleichzeitig die
Augenbrauen – im Vertrauen darauf,
dass auch diese Geste überall auf der
Welt verstanden wird.
Francois Caradec: „Dictionary of
Gestures“. MIT Press, 324 S., ca. 20 €.
"Wy moatte moarn, mar wer even, yn it waar sjen." Pyt Paulusma
"My ochotní, vedeni nevědomými, děláme nemožné pro nevděčné" K. Jireček.
"Jesteśmy tym, kogo udajemy i dlatego musimy bardzo uważać, kogo udajemy". K. Vonnegut
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