Из вчерашнего Шпигеля
Einwurf
Ich bin die Angela
Viele Deutsche sehnen eine schwedische Duzkultur herbei, doch die taugt nicht als Vorbild.
Die Schweden begehen derzeit das Jubiläum einer Reform, die das Land nachhaltiger verändert hat als die Gründung von Ikea: Vor 50 Jahren unterbreitete der damalige Generaldirektor der Gesundheitsbehörde seinem Personal, dass er fortan geduzt und bei seinem Vornamen „Bror" genannt werden wolle. Dieser Moment wird als Stunde null der schwedischen Duzkultur angesehen. Seitdem duzt dort (fast) jeder jeden.
Eine solche Regelung würde nach Meinung vieler Deutscher auch die hiesige Situation entspannen. Zumal wir bereits in einer Art Zwischenwelt leben, in der manch Praktikant einfach so seine Chefin ankumpelt und umgekehrt Vorgesetzte den Neuling ungefragt ins „Du" treiben.
Arbeitspsychologen und Soziologen sehen das durchaus skeptisch, doch die Verfechter des Duzens lassen sich nicht beirren; gern verweisen sie auf das englische „You". Linguistisch betrachtet funktioniert der Vergleich aber gar nicht, denn Engländer und Amerikaner differenzieren durchaus. Sie sprechen sich entweder mit Vor- oder Nachnamen an und pflegen zusätzlich die gestelzten Anreden „Sir" und „Madam".
Im Falle Schwedens ist es wichtig zu wissen, dass es Bror Rexed vor 50 Jahren nicht zuvörderst darum ging, für eine kuschelige Arbeitsatmosphäre zu sorgen, sondern eine mittelalterliche Anredepraxis zu überwinden. Höhergestellte Personen wurden nämlich meist indirekt über Namen und Titel angesprochen. Beispiel: „Wünscht der Generaldirektor Süßstoff zum Kaffee?" Eine Absonderlichkeit, die nun nur noch beim Umgang mit den schwedischen Royais gepflegt wird.
Da kann man froh sein, dass es in Deutschland keinen König mehr gibt, sondern bloß eine Kanzlerin. Im Falle einer Duzreform nach schwedischem Vorbild dürfte hier also wirklich jeder geduzt und beim Vornamen genannt werden. Auch Angela.
Guido Kleinhubbert